
Hier schaut die Anna aus dem Fenster. Sie ist erst aufgestanden und noch nicht „salonfähig“. Will sie frische Luft ins Zimmer lassen?
Nein! Der Grund ist ein anderer: Sie ist auf Sensationen aus, will wissen, was sich alles auf der „Gass'“ tut.
Diese Bronzefigur ist in Köngen (Württ) zu finden. Darunter ist eine Tafel angebracht mit diesem schwäbischen Gedicht:
Glotzt schau beim erschta Lampeschei´
de andre Leut end Schtuba nei,
isch et gwäschet ond ed kemmt,
rennt ans Fenschter bloß em Hemd.
Mit em nasaweisa Glotzfenschterle halb v’rwaxa
hat au g’wiß rutsched Schrempf an de Haxa.
Über die Wohlgestalt des Armes
kecht se anzia ebbes Warmes.
Für de bloße Busa
dät es au a Blusa!
Glotzt emmer, was uff d’r Gaß passiert
bis des nachts – ond des so richtig o’scheniert.
Se isch uff Sensatione aus,
ond hangt na glei viel weit’r raus,
kriegt au Schtielauga druff,
sperrt’s Nosaloch ond d’Goscha uff.
Ond älle and’re
glotzet au‘.
Drom hot des
Glotzgass g’hoißa
früher schau.
Übersetzung:
Schaut schon beim ersten Lampenschein
den anderen Leuten in die Stube hinein,
ist nicht gewaschen und nicht gekämmt,
rennt an Fenster nur im Hemd.
Mit dem Fenster halb verwachsen
hat auch bestimmt rutschende Strümpfe an den Füßen.
Über die Wohlgestalt des Armes
könnte sie anziehen etwas Warmes.
Für den bloßen Busen
täte es auch eine Bluse.
Schaut immer, was auf der Gasse passiert
bis nachts – und das so richtig ungeniert.
Sie ist auf Sensationen aus,
und hängst dann gleich viel weiter raus,
bekommt auch Stielaugen dazu,
sperrt das Nasenloch und den Mund auf.
Und alle andere
schauen auch.
Darum hat das
„Glotzgass“ geheißen
früher schon.
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Kelly (Sonntag, 18 April 2021 06:56)
*grins*
Die Annas gibt es überall, Sensation, Sensation...
Unsere Anna hier hat kein Fenster zur Straße, also nimmt sie den Besen und fegt auf und ab ;).
Leider hat sie das Fliegen noch nicht gelernt!
Ihr Mitteilungsbedürfnis ist außerdem riesengroß, wer es eilig hat wird schon mal an der Kleidung festgehalten.
Einen frühlingshaften Sonntag wünsche ich!
Kelly
Träumerle Kerstin (Sonntag, 18 April 2021 10:56)
Herrlich! Ich habe mich bemüht den Text zu lesen, aber unten kommt ja noch die Übersetzung :-)
Neugierde ist normal, kann aber auch zur Manie ausarten. In fremder Leute Fenster schauen machte mir auch als Kind schon Vergnügen. Heute noch muss ich im Dunkeln - bevorzugt um die Weihnachtszeit - einfach schauen, ob ich schauen kann :-)
Liebe Grüße von Kerstin.
Bernhard (Sonntag, 18 April 2021 12:09)
So a rechte Schwertgosch isch duie. Facebook auf Schwäbisch :-D
LG Bernhard
Harald (Sonntag, 18 April 2021 17:51)
Das ist ein SUper-Beitrag. Ich kenne das auch noch. Im Dorf würden früher Leute nicht mit ihrem richtigen Namen sondern nach einem Merkmal das sie hatten bezeichnet: Z.B.
Schimmel-Heinrich: Der Mann hatte Schimmel im Stall stehen.
Eck-Anna: Die Frau wohnte an der Straßenecke
Lach-Berta: Die Frau hat immer gelacht.
In kleinen Dörfern wird es wohl heute noch sein.
Für dich habe ich auch einen Namen: Burgen-Traudi
Liebe Grüße
Harald
Morgentau (Montag, 19 April 2021 08:04)
Hihi ... so eine Glotzgassa-Anna haben wir hier auch. Sie wohnt bei mir gegenüber auf der anderen Seite der Straße. Der einzige Unterschied, ... dass sie ihren Busen immer bedeckt hält ... lach.
Hab eine gute Woche, liebe Traudi!
Liebe Grüße
Andrea
Brigitte Berft (Montag, 19 April 2021 11:08)
Es ist echt witzig. Ich wollte schon anfragen, wo in Köngen denn die Anna ist weil ich öfter dort bin. Ist mein Nachbarort. Und heute stand ein grösserer Artikel darüber in unserer Tageszeitung. Beim nächsten mal werde ich Ausschau halten. Danke für den Tipp